Forschungsthemen
Die US-Subprime-Krise 2008/9 und die daran anschließende globale Wirtschafts- und Finanzkrise sowie die Euro-Krise hat weltweit eine Diskussion über angemessene Strukturen des Finanzmarktes, seine bessere Regulierung und die Aufgabenverteilung zwischen Markt und Staat entfacht. Diese Diskussion hat zum einen in der Wissenschaft stattgefunden, zum anderen in der praktischen Politik, die mit einer Vielzahl neuer gesetzlicher Regelungen eine Umstrukturierung des Finanzsektors anstrebt. Zugleich sind mit der Euro-Krise so genannte makroökonomische Ungleichgewichte wie Kreditblasen, Überhitzungen von Volkswirtschaften, gefährliche Verschuldungstrends oder wachsende Einkommens- und Vermögenskonzentration und eine daraus folgende anhaltende Nachfrageschwäche in den Fokus von Wissenschaft und Politik geraten. Diese Probleme werden auf nationaler Ebene, auf supranationaler Ebene insbesondere in der Europäischen Union und auf internationaler Ebene diskutiert, auf der die Meinung verstärkt wahrnehmbar ist, dass die gegenwärtige internationale Finanzarchitektur und die globale Handelsordnung (gescheiterte „Doha-Runde“) weder für Entwicklungs- und Schwellenländern noch für die Industrieländer wachstums- und stabilitätsfördernd ist.
Die Kernfrage des Forschungsclusters richtet sich darauf, wie durch eine geeignetere Regulierung und Aufsicht des Finanzsektors und seiner Player, eine angemessene Regulierung und Deregulierung von Arbeitsmärkten und des internationalen Währungs- und Handelssystems sowie einem angemessenen makroökonomischen Management einschließlich der Geldpolitik zum einen die Stabilität des Finanzsystems und seine nachhaltige Entwicklung gefördert und zum anderen ein stabiler Wachstumsprozess ohne Finanzkrisen sowohl in entwickelten als auch in Entwicklungsländern unterstützt werden kann.
Spezifische Forschungsfragen, die sich aus dieser Grundfrage ergeben, sind dabei u.a.:
- Welche Regulierungs- und Aufsichtsstrukturen für die Finanzmärkte und den Bankensektor und welche unternehmensrechtlichen Faktoren auf nationaler, supranationaler und internationaler Ebene haben zu der Verursachung der Krisen beigetragen und welche Maßnahmen erscheinen am geeignetsten, makroökonomische Stabilität, stabiles Wachstum und nachhaltige Entwicklung zu fördern? Neben der ökonomischen wird auch die rechtliche Perspektive einbezogen. Welche Unterschiede ergeben sich insbesondere zwischen OECD- und Entwicklungsländern sowie zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Drittstaaten?
- Welche Rolle können öffentliche Banken und Genossenschaftsbanken angesichts veränderter ökonomischer, demographischer und regulatorischer Rahmenbedingungen im Entwicklungsprozess insbesondere strukturschwacher, peripherer Regionen sowie zur Stabilisierung des Konjunkturzyklus spielen und welche Schwierigkeiten und Risiken ergeben sich daraus?
- Wie können insbesondere auf der Grundlage des Konzepts einer nachhaltigen Entwicklung Maßnahmen zur gleichzeitigen Bekämpfung der ökonomischen Krisen und der ökologischen Krise strukturiert werden?
- Welche Rolle spielt die Geldpolitik beim Entstehen von Vermögenspreisblasen und Finanzkrisen und welche wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen ergeben sich so für das Verhalten von Zentralbanken ebenso wie für die Wahl von Wechselkursregimen?
- Welche Rolle haben Entwicklungen bei der Einkommens- und Vermögensverteilung für die jüngsten wirtschaftlichen Krisen gespielt und welche Instrumente sind am besten geeignet, dies in Zukunft zu verhindern?
- Welche Bedeutung haben internationale Kapitalströme zum einen für die Entwicklung von Schwellen- und Entwicklungsländern, zum anderen für die Stabilität der Weltwirtschaft insgesamt? Welche Rolle haben Kapitalströme und damit verbundene Zahlungsbilanzungleichgewichte bei der Entstehung der aktuellen Finanzkrise gespielt und wie können mögliche negative Folgen von Kapitalströmen begrenzt werden?
- Welche supranationalen bzw. internationalen Institutionen für die Koordinierung von Wechselkursen und Kapitalströmen sind für eine mittel- und langfristige Stabilität notwendig?
- Welche institutionellen Reformen sind auf Ebene der Europäischen Union und der Eurozone notwendig, um zu einem stabilen Wachstumsprozess zurückzufinden?
- Welche außenwirtschaftlichen Strategien (z.B. Exportorientierung oder Unterbewertung des Wechselkurses) erlauben eine stabile Entwicklung des Wirtschaft und Finanzsystems? Welche Hindernisse bestehen für solche Strategien in den gegenwärtigen globalen Strukturen internationaler Handelsregulierung (WTO etc.)?
- Welche Rolle sollte der Staat im Entwicklungsprozess übernehmen?
- Welche Bedeutung haben Wechselkursbewegungen für die Stabilität von Finanzsystemen und Wachstumsprozessen und welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die Wirtschaftspolitik?
- Welche Rolle spielen mittelfristig die Schwellenländer mit ihren spezifischen Handels- und Kapitalströmen für die OECD-Länder, insbesondere in Europa bzw. der Europäischen Union?
- Kann die internationale Wettbewerbsfähigkeit der „least developed countries“ durch eine geeignete Wechselkurspolitik oder ein neues internationales Wechselkursregime verbessert werden?
Alle Fragestellungen werden dabei sowohl aus Sicht der Entwicklungs- und Schwellenländer als auch aus Sicht der OECD-Länder bzw. der Mitgliedstaaten der Europäischen Union behandelt, wobei die spezifischen institutionellen Gegebenheiten der jeweiligen Ländergruppen berücksichtigt werden. Einen besonderen Schwerpunkt der Forschungen bilden die Reformen der Aufsichts- und Regulierungsstrukturen im Finanz- und Bankensektor der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten sowie die einschlägigen Aktivitäten der Europäischen Union im Bereich der Corporate Governance.